Wege zur Inkulturation

Pater Edele (Weisser Pater)

Wenn Jesus sagt: "Ihr sollt meine Zeugen sein…", dann meint er uns alle ; jeden Christen, der sich ihm angeschlossen hat. Heute, am Weltmissionssonntag, sind wir also alle angesprochen. Wenn er aber weiterfährt : "… bis an die Grenzen der Erde", oder, bei Matthäus : "Verkündet das Evangelium allen Völkern", dann zeigt sich doch, dass der Auftrag nicht allen gelten kann. Und so gab es schon immer "Missionare", wie z.B. den hl. Paulus, Franz Xaver und viele andere.

Wir Missionare sind oft in Verruf geraten, wir seien nicht besser als die Kolonialisten, hätten den Menschen in den südlichen Ländern Afrikas und Südamerikas eine ihnen fremde Religion aufgezwungen, anstatt sie bei ihren angestammten religiösen Überzeugungen zu belassen. Wenn diese Meinung unter uns Christen geteilt wird, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich keine jungen Menschen mehr bereit finden, diesen von Christus erteilten Auftrag weiter zu führen.

Deswegen möchte ich Ihnen heute von meiner Erfahrung sprechen, denn ich war fast 40 Jahre lang in Afrika als Missionar tätig. Das Bibelwort, das ich meiner Ausführung zugrunde lege, steht am Anfang des Hebräerbriefes: "Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten ; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch seinen Sohn". Was der Hebräerbrief vom alten Testament sagt, also vom Volk der Hebräer, dasselbe dürfen wir und müssen wir von allen Völkern sagen. Alle Menschen, welchem Stamm sie auch angehören, sind religiös, das heisst sie fühlen sich Gott verbunden. Gott hat sich ihnen in ihrer Kultur und durch ihre Kultur offenbart und das über viele Generationen hinweg. Wie ein Bauer sein Feld für die Saat vorbereitet, so hat Gott diese Völker vorbereitet, den "Samen des Wortes Gottes" aufzunehmen. Bevor je ein Missionar zu diesen Völkern kam, war der Heilige Geist schon am Werk, um ihnen die Sehnsucht nach Gott ins Herz zu legen. Deswegen ist es die erste und wichtigste Aufgabe des Missionars, die Spuren der Gegenwart Gottes und das Wirken des Geistes in der Kultur dieser Völker zu entdecken. Mit andern Worten, der Missionar muß erst entdecken, auf welche Weise Gott den Acker bereitet hat, auf dem er dann den Samen des Evangeliums ausstreuen kann. Dass dies nur möglich ist, indem man die Sprache dieser Menschen lernt, und mit ihnen soweit als möglich das Leben teilt, versteht sich von selbst. Und das ist nur möglich, wenn man sich über Jahre hinweg dieser Aufgabe widmen kann. Von daher muß man sich ehrlich fragen, in wiefern der heute so gängige Ausdruck von "Missionar auf Zeit" seine Berechtigung hat. Der Missionar muß also zunächst einmal selber lernen, bevor er lehren kann.

Was dies konkret bedeutet, möchte ich an einem Beispiel klar machen. 1960: Gerade hatte ich die Sprache gelernt. Ich sollte die Prüfung der Taufbewerber abhalten. Eine alte Frau kam - sie sollte die Fragen des Katechismus beantworten : Was geschieht, wenn der Mensch stirbt ? Im Katechismus stand die Antwort etwa so formuliert : Der Leib wird in die Erde gelegt, die Seele aber, vom Leib getrennt, tritt hin vor Gott. Für die Afrikaner bedeutet der Tod eine Umwandlung in eine neue Weise der Existenz : Der Mensch, d.h. sein Geist, wird in den Kreis der Ahnen aufgenommen, und Ahnen haben die Aufgabe, über die Lebenden zu wachen und sie zu behüten. Folgerichtig sagt die alte Frau : Die Seele, d.h. der Geist bleibt auf dem Dorfplatz. So stand es jedoch nicht im Katechismus jener Zeit - also war die Frau durchgefallen. Und trotzdem: "Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen": Lebende und Tote leben in Gemeinschaft, sind füreinander da! Die alte Frau kam der christlichen Wahrheit näher als was ich bisher über dieses Geheimnis gehört hatte.

Der Papst hat, in einem vor kurzem erschienenen Schreiben erklärt, dass Inkulturation, d.h. die Verkündigung des Evangeliums in einer der jeweiligen Kultur verständlichen Sprache, eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche in Afrika sei. Jesus selbst hat dies in einem Gleichnis zum Ausdruck gebracht, als er von dem Sauerteig sprach, den eine Frau mit ihrem Mehl vermischte. Unsere Kultur, unser Wertsystem, das ist das Mehl, die Grundlagen unseres Lebens. Das Evangelium ist der Sauerteig, der diese Kultur durchdringen muß.

Nur wer lange genug unter diesen Völkern gelebt hat, kennt auch deren Ängste, deren Zwänge und Unfreiheiten, weiß um die sozialen Unterschiede und Ungerechtigkeit, die jedem Wertsystem, jeder Kultur innewohnen. Es obliegt dann dem Missionar, die Frohe Botschaft, die befreiende Nachricht von Jesus und vom Kommen seines Reiches anzubieten. Dies zu tun habe ich fast 40 Jahre lang versucht.

Wer macht diese Arbeit weiter? Aus Europa sind kaum noch Missionare zu erwarten. Zum Glück haben die jungen Kirchen Afrikas schon begriffen, dass auch sie missionarisch wirken müssen. So hat bei meinem Weggang ein Mitbruder aus Tansania meine Arbeit übernommen. Es gibt genügend Berufungen. Leider sind die Heimatgemeinden dieser neuen Generation von Missionaren meistens nicht in der Lage, ihre Ausbildung zu finanzieren. Das ist ein weiterer Grund, weshalb wir den Weltmissionssonntag begehen.

Zum Schluss möchte ich noch einmal zurückkommen auf das, was ich zu Anfang gesagt habe : Nämlich dass jeder Christ Missionar sein soll für seine Umgebung.

Haben Sie, hast Du, die befreiende Botschaft von Jesus in deinem eigenen Leben erfahren? Dann verkünde sie weiter in Deine Umgebung hinein, denn auch in unserem Kulturkreis gibt es Ängste, Unfreiheit, Ungerechtigkeit, gibt es Unerlöstheit, wenn wir auch andere Namen dafür haben: Depressionen, Drogenabhängigkeit, Vergnügungssucht, zwanghaften Konsum. Vielleicht hat auch unsere europäische Kirche es nötig, sich zu inkulturieren, denn wir leben in einer Welt, die den Sauerteig "Evangelium" nötig hat. Denken Sie mal darüber nach. Amen!